Am 9. November 1938, in der Progromnacht, warnte ein Nachbar mich und holte mich in sein Haus, wo ich drei Tage blieb. Nachdem sich das öffentliche Leben wieder normalisiert hatte, kehrte ich in mein Elternhaus zurück, kam dann 1939 im Zuge der Hachsharah nach Neuendorf (bei Fürstenwalde) und später nach Obersdorf (Kr. Lebus), wo die Ausbildung für die Auswanderung nach Palästina weiter fortgesetzt wurde. Zu der Zeit war mein Bruder, Walter Steinitz, Mitarbeiter am Aufbau des Arbeitslagers am Grünen Weg in Paderborn, und er forderte mich als Arbeitskraft an. Das Lager unterstand der Gestapo, die aber der Stadt Paderborn die Arbeitskräfte aus dem Lager zur Verfügung stellte. Ich war wegen meines Handwerkerstatus im Lager für Reparaturen zuständig.
1942 heiratete ich die Mitinsassin im Lager, Sophie Schlaume. Später war ich bei Syring im Getreidesilo tätig, bis wir Lagerinsassen 1943 gemeinsam nach Auschwitz abtransportiert wurden, wobei alle Insassen des Arbeitslagers geschlossen nach Bielefeld gebracht wurden. Dort stellte die SS dann den Transport nach Auschwitz zusammen. An der Rampe von Auschwitz sah ich meine Frau zum letzten Mal.
Ich kann nur immer wieder versichern, daß die ersten Tage in Auschwitz die allerfürchterlichsten waren. Man erkannte sich selbst nicht mehr mit dem kahlgeschorenen Kopf und in dieser KZ-Kleidung … dazu die Rohheit der Kapos und Blockältesten … Viele Häftlinge liefen einfach an den elektrischen Draht, der das KZ-Lager umzäunte, um sich zu töten. Mein Blockältester war auch sehr brutal und schlug mich, aber einige Tage nach meiner Ankunft im KZ Auschwitz bekam ich Hilfe vom Blockältesten einer anderen Baracke, was für mich an ein Wunder grenzte. In diesem Häftling erkannte ich einen bekannten Hindenburger Mörder, von dem ich in meiner Heimatstadt schon gehört und gelesen hatte. Mir jedoch half er, indem er dem Stubenältesten meiner Baracke drohte, daß „es ihm schlecht würde“, wenn er mich noch einmal schlüge. Seitdem hatte ich vor dem Rohling Ruhe. Jener >BVer< (grüner Winkel = Berufsverbrecher) rettete mich auch noch auf eine andere Weise, indem er mir über einen Kapo (der wegen Wehrkraftzersetzung in Auschwitz war) zu einer Arbeit als Schlosser verhalf, bei der wir in einer geschlossenen Halle arbeiteten, wo man der Witterung nicht so ausgesetzt war. Im Januar 1945 wurde ich mit Tausenden von Häftlingen aus Auschwitz auf den berüchtigten Todesmarsch nach Gleiwitz geschickt. Von dort wurden wir überlebenden KZ-Häftlinge nach Nordhausen im Harz transportiert, wo wir im KZ Mittelbau >Dora< an der V 2 arbeiten mußten. Im März wurde das Lager Nordhausen wegen der vorrückenden alliierten Truppen geräumt und nach Bergen-Belsen transportiert. Diese Fahrt dauerte wohl 4 oder 5 Tage, und sie war die Hölle… Der Mensch verroht in solchen Situationen….
Es sind im Waggon viele gestorben, und die Leichen wurden einfach übereinandergestapelt, und wir Lebenden setzten uns darauf. In Bergen-Belsen wurden wir KZ-Häftlinge von den englischen Truppen befreit. Aus Dokumentationen über jene Befreiung des Lagers Bergen-Belsen geht ja hervor, wie entsetzlich es dort gewesen ist. Das ganze Lager lag voller Verhungerter, voller Skelette und Leichen. Und mitten drin suchten die noch-Überlebenden irgendwo nach Eßbarem … Nach der Befreiung haben die Engländer an uns Essen verteilt, aber viele der Ausgemergelten konnten nach diesem ständigen Hungern das Essen nicht mehr vertragen, aßen es heißhungrig und starben in kürzester Zeit. Da ich nach meiner Befreiung nicht in meine Heimatstadt Hindenburg zurückkehren konnte, weil Oberschlesien von Polen besetzt war, und da wir Chaverim (Freunde) aus dem Arbeitslager am Grünen Weg uns verabredet hatten, uns in Paderborn zu treffen, falls wir überleben würden, und da ich auch sonst kein Ziel hatte, habe ich mich nach Paderborn begeben und suchte nach den Freunden. Von meinen Familienangehörigen wußte ich nichts. Die Listen der Überlebenden wurden jedoch in der ganzen Welt bekannt gemacht, möglicherweise auch weltweit in Zeitungen, und so erhielt ich überraschend einen Brief von Mutter und Schwester aus Brasilien. Sie hatten in einer Zeitung meinen Namen gelesen, und ich erfuhr dann durch meine Mutter, daß mein Bruder Walter, der mit mir im Arbeitslager in Paderborn gewesen war, mit dem letzten Transport auf dem Schiff Patria nach Israel gerettet wurde. 1948 fuhr ich zu meinem Bruder Walter nach Israel, wo inzwischen auch meine Mutter aus Brasilien eingetroffen war.
1952 heiratete ich in Israel. Meine zweite Frau stammte aus Danzig, und da sie das Klima in Israel nicht vertrug, kehrten wir 1957 nach Deutschland zurück und nahmen in Paderborn unseren Wohnsitz.
Im WS 1881/82 Aufnahme des zweiten Theologiestudiums an der Universität Paderborn; Staatsexamen 1988. 1999 Promotion zur Dr. Phil. im Fachbereich 1, Fach Evangelische Theologie, der Universität Paderborn.
Das große, freie Feld, das wir zugewiesen bekamen, war etwa vier Morgen groß. Zunächst haben wir erst einmal mit der Sense alles abgemäht. Es begann damit, daß zuerst die >Kochkiste< gebaut wurde und wir dann draußen das Essen gekocht haben. Dann wurden zunächst Zelte zum Schlafen errichtet. Neben dem Gelände ist ein Gleisanschluß vorhanden gewesen. Mit der Bahn wurden dann einzelne Teile zum Aufbau der Holzbaracken angeliefert, nachdem wir vorher die Fundamente gemauert hatten. Darauf haben wir die Baracken errichtet. Wir hatten einen Zimmermann, (und andere) die mit mir und einer weiteren Gruppe den Aufbau des Lagers bewerkstelligt haben. Ich selbst war in dem Jahr bis zu meiner Emigration nur im Innendienst des Lagers eingesetzt, und ich führte sämtliche Reparaturen aus. Niemals arbeitete ich draußen …<(aus: Margit Naarmann, Ein Auge gen Zion… Das jüdische Umschulungs- und Einsatzlager am Grünen Weg in Paderborn 1939-1943, Verein f. Geschichte an der Universität-Gesamthochschule Paderborn e. V., S. 64) 24 Personen aus dem Umschulungslager >Grüner Weg<, darunter Walter Steinitz, traten am 30. August 1940 ihre Reise (nach Palästina) an. (aus: Margit Naarmann, Ein Auge gen Zion… Das jüdische Umschulungs- und Einsatzlager am Grünen Weg in Paderborn 1939-1943, Verein f. Geschichte an der Universität-Gesamthochschule Paderborn e. V., S. 82)
Bialystok, die Geburtsorte meiner Eltern. Meine Brüder, Zeev und Nachum, sind zehn bzw. fünf Jahre älter als ich.
Meine ersten Lebensjahre verbrachten wir in meinem Geburtsort, in einer ländlichen Umgebung. 1957 wurde von den Behörden
eine Möglichkeit zur Rückwanderung der Menschen geschaffen, die entweder selbst oder deren Eltern in Polen geboren waren. So
zogen wir von Weißrussland nach Polen um. Meine Eltern beantragten die Auswanderung und nach drei Monaten reisten wir über
Genua nach Israel.
Von Haifa aus wurden wir in die landwirtschaftliche Siedlung Zahal (heute Liman) geschickt. Ein Jahr später bekam meine
Mutter eine Stelle als Krankenschwester in Akko und wir zogen um nach Naharia. Dort habe ich meine achtjährige
Grundschulausbildung absolviert. Ab 1965 besuchte ich das landwirtschaftliche Gymnasium in Akfar Hayarok (= „das grüne
Dorf“) in der Nähe von Tel Aviv, wo ich 1969 das Abitur bestand.
Bereits im September 1969 kam die Einberufung zum Wehrdienst. Ich diente drei Jahre als Kriegssanitäter in einer
Pioniereinheit. Danach bereitete ich mich auf die Aufnahmeprüfung für das Technion (= technische Hochschule in Haifa) vor
und wurde 1973 in die landwirtschaftliche Fakultät aufgenommen. Nur wenige Wochen nach Beginn des Studiums erhielt ich die
Einberufung zum Jom-Kippur-Krieg. Da ich als Kriegssanitäter an der syrischen Front eingesetzt war, wo die Kämpfe am
längsten dauerten, konnte ich erst ein halbes Jahr später mein Studium wieder aufnehmen.
Nach meinem Abschluss als Diplom-Ingenieur für Wasser- und Agrarwissenschaften 1978 absolvierte ich noch ein dreimonatiges
Praktikum an der ETH Zürich. Während meines Aufenthaltes in der Schweiz unternahm ich Ausflüge in das benachbarte Elsass und
besuchte erstmals Deutschland, die Heimat meiner späteren Frau.
In den Jahren 1979 bis 1985 war ich mit der Planung, Leitung und Durchführung von Wasserversorgungsprojekten in Israel
beschäftigt. 1983 heiratete ich auf Zypern und 1984 wurde mein Sohn Daniel in Naharia geboren. Im August 1985 bin ich mit
meiner Familie nach Deutschland ausgewandert und habe mich in Paderborn niedergelassen. Im November habe ich mich zum
EDV-Systemberater für Wirtschaft und Technik ausbilden lassen und arbeite seit dem Frühjahr 1987 in der EDV-Branche. 1990
wurde mein zweiter Sohn David geboren.
Sobald ich mich in Paderborn eingelebt hatte, habe ich Kontakt zur jüdischen Gemeinde Paderborn aufgenommen. Seit 1985 bin
ich offizielles Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde. Seither habe ich am Gemeinde leben teilgenommen und die Gemeinde auch
bei verschiedenen Aktivitäten nach außen repräsentiert. Nach dem Tod unseres Kantors Anfang der neunziger Jahre habe ich
auch diese Aufgabe mit übernommen. Im November 2000 wurde ich zum 1. Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinde Paderborn.
2004 – 2015 beruflich unterwegs
Ab 2015- bis 2019 bin ich erneut zum Vorsitzender der Jüdische Gemeinde gewählt.